Immunsystem

Immunsystem

Die Komplexität des Immunsystems: Unser Schutzschild gegen Krankheit und Krebs

Das Immunsystem ist ein komplexes Netzwerk, bestehend aus verschiedenen Organen, Zelltypen und Botenstoffen. Es verhindert Gewebsschädigung durch Krankheitserreger und vernichtet fehlerhaft gewordene körpereigene Zellen. Der Name leitet sich von lat. immunis = unberührt, frei, rein ab.

Es übt eine ständige Kontrollfunktion aus (Immunsurveillance = Immunüberwachung) und vernichtet dabei ständig auch entstehende Krebszellen in einem frühen Stadium, so dass Tumorerkrankungen verhindert werden.

Verschiedene Zellen übernehmen spezielle Aufgaben. Dabei unterscheidet man:

  • Die angeborene Immunantwort. Zu diesem System gehören physiologische Barrieren (Haut, Schweiß und Sekrete, Schleimhäute und die Darmflora). Es findet eine zellvermittelte Gegenwehr (Phagozytose) statt. Ebenfalls kommt es zur Aktivierung bestimmter Stoffe (Komplementsystem, Botenstoffe). Die Immunantwort findet innerhalb weniger Minuten statt und ist durch die Erbinformation festgelegt. Dieses System arbeitet in einem „stand-by-modus“ und kann bei Fehlfunktion (anaphylaktische Reaktion) in kürzester Zeit zum allergischen Schock und Tod führen.
  • Die erworbene (adaptive) Immunantwort ist ein komplexes anpassungsfähiges System. Es ist in der Lage, spezifische Strukturen (Antigene) der Angreifer zu erkennen und gezielte Abwehrmechanismen zu bilden (zelluläre und molekulare Antikörper)

Beide Systeme arbeiten eng zusammen.

Für das Immunsystem ist von hoher Bedeutung, körpereigene gesunde von fremden oder kranken Zellen zu unterscheiden. Hierzu dienen Oberflächenmarker auf der Zelloberfläche. Diese sind bei jedem Menschen einzigartig. Bildlich gesehen tragen unsere körpereigenen Zellen einen „Personalausweis“, der dem Immunsystem ermöglicht, die Identität (zu uns gehörend) festzustellen. Zellen mit „gültigem Personalausweis“ werden also toleriert. Das HLA-System = Humanes Leukozyten Antigen-System stellt dabei den „genetischen Fingerabdruck“ dar. Tragen Tumorzellen einen „gültigen Personalausweis“ werden sie vom Immunsystem toleriert. Die Zellen des Immunsystems lernen in ihrem Reifungsprozess diese Unterscheidung. Gelingt dies nicht eindeutig, können Autoimmunerkrankungen (z.B. Rheuma, Thyroiditis, Kolitis) entstehen. Da dies lebensbedrohlich sein kann, haben sich im Laufe der Evolution verschiedene Mechanismen entwickelt, die eine Immunantwort bremsen können.

Zu den zellulären Bestandteilen des Immunsystems gehören:

  • Granulozyten (unspezifisches Abwehrsystem). Sie stellen den größten Teil der weißen Blutkörperchen dar. Sie enthalten verschieden anfärbbare Granula (Körnchen), welche Stoffe enthalten, die Krankheitserreger unschädlich machen und Entzündungsreaktionen fördern. Diese Stoffe spielen bei allergischen Reaktionen eine wichtige Rolle. Sie können die Blutbahn verlassen und ins Gewebe einwandern. Ihre Lebensdauer ist kurz (ca. 7 Tage), sie dienen der „Einmalverwendung“. Damit gehören sie zu den am meisten produzierten Zellen unseres Organismus. Pro Minute entstehen im Knochenmark ca. 100 Mio. neue Zellen.
  • Makrophagen (unspezifisches Abwehrsystem). Sie werden auch Riesenfresszellen oder Monozyten genannt und aktivieren die spezifische Abwehrreaktion. Sie nehmen einen Erreger auf (Phagozytose) und zerlegen diesen in ihrem Inneren. Anschließend zeigen sie auf ihrer Oberfläche die zerlegten Teile (Antigen-präsentierende Zelle). Diese Strukturen werden dann von Zellen der spezifischen Abwehr (T-Helferzellen) erkannt und eine zielgerichtete Immunantwort kann erfolgen. Manchmal weisen diese Strukturen Ähnlichkeiten zu körpereigen Strukturen auf, dann können Autoimmunphänomene auftreten. Dies erklärt, warum manche Infektionskrankheiten Folgeerkrankungen verursachen (z.B. Rheuma nach Streptokokkeninfekt). Makrophagen fungieren als „Müllabfuhr“ und entfernen schädliche Stoffe (z.B. Teerablagerung aus Zigarettenrauch).
  • Natürliche Killerzellen. Sie stellen die erste Verteidigungslinie bei Infektionen oder Krebserkrankungen dar, da sie infizierte oder veränderte Zellen vernichten, ohne vormals Kontakt gehabt zu haben. Geht der „Personalausweis“ einer Zelle verloren oder wird unleserlich, erkennt dies eine NK-Zelle und vernichtet diese.
  • Dendritische Zellen Sie nehmen Krankheitserreger auf und wandern zum nächsten Lymphknoten. Dort zerlegen sie den Erreger und präsentieren die Antigene auf ihrer Oberfläche den T-Lymphozyten. Dabei genügt eine dendritische Zelle um 100-3000 antigenspezifische T-Zellen zu aktivieren.
  • T-Lymphozyten (spezifisches Abwehrsystem). Sie reifen in der Thymusdrüse heran. Auf ihrer Zelloberfläche tragen sie einen Rezeptor, mit dem sie fremde Strukturen (Antigene) erkennen (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Sie werden weiter nach ihren Merkmalen unterteilt (CD = cluster of differentiation). So werden heute ca. 300 immuntypische Oberflächenmerkmale unterschieden. Ihre Lebensdauer kann Jahre betragen.
  • T-Helferzellen (spezifisches Abwehrsystem). Sie kodieren die Immunantwort. Sie können Antigenstrukturen auf Makrophagen erkennen und stimulieren die Freisetzung von Botenstoffe (Lymphokine). Dadurch werden die B-Lymphozyten angeregt, Antikörper zu bilden.
  • Regulatorische T-Zellen (spezifisches Abwehrsystem). Sie unterdrücken eine überschießende Immunantwort. Ebenfalls sind sie für die Toleranzentwicklung gegen körpereigene Strukturen zuständig.
  • B-Lymphozyten (spezifisches Abwehrsystem). Sie entstehen im Knochenmark. Binden sie ein Antigen an ihren passenden Rezeptor, werden sie durch Botenstoffe der T-Helferzelle in eine antigenproduzierende Plasmazelle oder in eine „Gedächtniszelle“ verwandelt. Die B-Zelle kann im Gegensatz zur T-Zelle auch „freie“ Antigene erkennen und benötigt nicht die Präsentation durch das unspezifische Abwehrsystem. Die produzierten maßgeschneiderten Antikörper werden in das Blut abgegeben und bilden dort mit dem Antigen (Erreger) einen Antigen-Antikörperkomplex. Dadurch wird der Erreger inaktiviert (humorale Abwehr). Es gibt verschiedene Arten von Antikörpern. Sie können auch zur Diagnostik herangezogen werden, beispielsweise um unterscheiden zu können, ob eine frische Infektion vorliegt, oder eine Infektion (Kontakt) zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hat. Sie finden diagnostische Anwendung bei szintigraphischen Untersuchungen (Immunszintigraphie) oder therapeutisch (Antikörpertherapie). Kreuzreaktionen und damit Allergieauslösung kann vorkommen.

Während die Zellen des unspezifischen Abwehrsystems in kürzester Zeit reagieren, setzt die spezifische Immunantwort bei Erstkontakt oft erst nach Tagen ein. Bei erneutem Erregerkontakt ist über die nach Erstkontakt gebildeten Gedächtniszellen diese Reaktion beschleunigt und das Ausbrechen von Erkrankungen kann abgeschwächt oder verhindert werden (Impfprinzip).

Eine Immunreaktion findet – unterstützt durch Botenstoffe – in der folgenden Reihenfolge statt:

  • Durchbrechen mechanischer Barrieren
  • Erstkontakt?
  • Antigenpräsentierende Zelle nimmt Erreger auf
  • T- und B-Lymphozyten werden aktiviert
  • Antikörperbildung erfolgt
  • Bildung von Gedächtniszellen

Die Reifung des Immunsystems findet in den ersten Lebensmonaten statt. Kurz nach der Geburt kann das Immunsystem Krankheitserreger noch nicht effektiv bekämpfen. Der Säugling ist daher auf die Schutzfunktion mütterlicher Antikörper angewiesen (Nestschutz). Diese werden über die Plazenta (Mutterkuchen) und die Muttermilch zugeführt. Da bei vielen Säugetieren die Antikörper nicht plazentagängig sind, müssen sie mit der ersten Muttermilch (Kolostrum) aufgenommen werden, sonst kann das Neugeborene nicht überleben. Diese passive Immunisierung schützt etwa 3 Monate. In den ersten Lebensmonaten bereitet sich das Immunsystem dann auf die Abwehr von Erregern vor. Dies geschieht durch sogenannte negative Selektion. Das heißt, es werden nach dem Zufallsprinzip viele Millionen Abwehrzellen gebildet, von denen jede ein anderes Antigen erkennen kann. Im Anschluss werden solche Zellen eliminiert, die eine Immunreaktion auf körpereigene Strukturen veranlassen würden (Selbsttoleranz). Die T-Zellen reifen in der Thymusdrüse. Die Rückbildung dieser Drüse findet nach der Geschlechtsreife statt und ist mit dem 40. bis 50. Lebensjahr abgeschlossen. Daher steigt im Alter die Anfälligkeit gegenüber Krankheiten und Störungen (Immunoseneszenz). Die Anzahl der Lymphozyten nimmt ab, dafür nimmt die Anzahl der unspezifischen Natürlichen Killerzellen zu.

Man kann sich gut vorstellen, dass ein solch komplexes System mit einem hohen Zellumsatz sehr viel Energie und Nährstoffe verbraucht. Verschiedene Umstände oder Erkrankungen führen daher zu einer Störung des Immunsystems:

  • Angeborene Defekte
  • Erworbene Defekte (HIV-Infektion, medikamentös (z.B. Chemotherapie) bedingte Verminderung der Abwehrzellen, Immunsupression bei Strahlentherapie, Immununterdrückung durch Cortison, Umweltgifte)
  • Nährstoffmangel (Insbesondere Eiweißmangel (Proteinmangel) schränkt die Leistungsfähigkeit und Regenerationsbereitschaft ein)
  • Schlafentzug (fehlende Tiefschlafphasen)
  • Immobilität
  • Hypothermie
  • Autoimmunerkrankungen
  • Überschießende Immunantwort

Stammzellen garantieren immer wieder den Nachschub von Abwehrzellen. Die immunsuppressive Wirkung einer Chemotherapie zeigt sich entsprechend der Lebensdauer der Zellen erst nach einigen Tagen. Dies bezeichnet man als Nadir (Tiefpunkt des Absinkens der Blutzellen). Eine vermehrte Infektanfälligkeit ist dann gegeben. Manchmal müssen dann wachstumsstimulierende Medikamente eingesetzt werden (z.B. Filgrastim, Neupogen®).

Es gibt einen Zusammenhang zwischen individuellem Immunsystem und der Partnerwahl. Über unseren Geruchssinn kann die genetische Individualität und Verschiedenheit erfasst und bewertet werden.

Die Entstehung von Krebs aus veränderten (mutierten) Zellen wird in der Regel durch unsere Immunüberwachung verhindert, sofern diese Zellen für unsere Abwehr erkennbar sind. Sie tragen – als im eigenen Körper entstandene Zellen – den o.g. „Personalausweis“ und sind so getarnt (immune escape). Durch Selektion können sich solche getarnten Tumorzellen weiter vermehren. Je weiter sich Krebszellen entwickeln, desto klarer unterscheiden sie sich dann aber auch von gesunden Zellen, so dass das Immunsystem wieder Angriffspunkte finden kann. Krebszellen sind jedoch in der Lage sich immer wieder anzupassen, da sie sich schnell vermehren und können sich so den Angriffen des Immunsystems entziehen. Sie können beispielsweise Botenstoffe bilden, die die Aktivität des Immunsystems herabmindern (siehe „Tumorentstehung“).

Die meisten Tumorpatienten verfügen über ein intaktes und reagibles Immunsystem. Ziel der aktuellen wissenschaftlichen Forschung ist daher das „Kenntlichmachen“ von Tumorzellen, das bedeutet, für das Immunsystem Angriffsmöglichkeiten zu schaffen. Antikörper sind bei verschiedenen Erkrankungen schon seit einigen Jahren erfolgreich im Einsatz. Auch „Tumorimpfungen“ sind in Entwicklung und bereits bei einigen Tumorerkrankungen in klinischer Anwendung.

Immunanregende naturheilkundliche Therapien (z.B. Misteltherapie) können zum Einsatz kommen, wenn eine Immuninsuffizienz vorliegt. Eine Blutuntersuchung kann darüber Aufschluss geben. Allergieentwicklung oder Überstimulation muss unbedingt vermieden werden. Hämato-onkologische Systemerkrankungen wie Leukämien, Plasmozytom oder Lymphome sollen nicht mit unspezifischen immunstimulierenden Medikamenten behandelt werden, da dies auch zur Wachstumsförderung erkrankter Zellen führen kann. Auch beim Melanom und Nierenzellkarzinom muss dies beachtet werden. (Siehe „Misteltherapie“)

Ausgewogene Ernährung, körperliches Konditions- und Muskelkrafttraining sowie Stressreduktion und Entspannung optimieren unsere Körperfunktionen und damit das Immunsystem.

Die Psychoneuroimmunologie ist eine Wissenschaft, die sich noch im Stadium der Grundlagenforschung befindet. Sie beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen von Psyche, Nervensystem, Hormonsystem und Immunsystem. Es ließ sich nachweisen, dass Optimismus, verbessertes Selbstwertgefühl und intakte soziale Bindungen einen messbaren positiven Einfluss auf die Zellen und Botenstoffe des Immunsystems haben. Andererseits führt länger bestehende Depression zu einer Vermehrung von Immununterdrückenden Zellen (T-Supressorzellen) und zu einer Verminderung von Natürlichen Killerzellen. Diese Zellveränderung ließ sich durch Einnahme von Antidepressiva wieder verbessern. Positive Gefühle oder Lachen schaden nachweislich einer Erkrankung. Schon das Betrachten eines lustigen Films oder Singen bewirkt einen Anstieg verschiedener Immunzellen.