Antiangiogenese

Antiangiogenese

Antiangiogenese

Mit Antiangiogenese bezeichnet man eine medikamentöse Methode, die sich gegen Gefäßbildung richtet. Die Neubildung von Blutgefäßen ist nicht nur für die Entwicklung des menschlichen Organismus wichtig, sondern spielt eine große Rolle bei allen Wachstums- und Heilungsvorgängen.

Das Wachstum von Blutgefäßen wird über angiogenetische Wachstumsfaktoren und Botenstoffe angeregt. Es ist ein komplexer Prozess, der zur Gefäßneubildung und -spezialisierung führt. Gefäßwachstumsfaktoren sind:

  • VEGF (vascular endothelial growth factor)
  • FGF (fibroblast growth factor)
  • EGF (epidermal growth factor))
  • PDGF ( platelet derived growth factor)

Daneben sind Angiopoetin, Tumornekrosefaktor (TNF), Interleukine und Prostaglandine von Bedeutung. Auch Wachstumsfaktoren der Knochenmarks-Stammzellen (G-CSF) regen die Neubildung an. 

Wachstumsfaktoren entfalten ihre Wirkung über spezielle Rezeptoren, an die sie binden. Die Bindung funktioniert nach einem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Über die Rezeptoren wird ein Signal an die Zelle weitergegeben, das zur Gefäßneubildung führt. 

Entsteht ein solider Tumor im Organismus, kann dieser nur wachsen, wenn auch eine Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff erfolgt. Er ist also abhängig vom mitwachsenden Kapillarnetz. Ohne die Fähigkeit, neue Blutgefäße auszubilden, erreicht die Größe eines Tumors keine klinische Relevanz. Die Tumorzelle kann selbst Wachstumsfaktoren an die Umgebung abgeben, um die eigene Versorgung zu sichern. Diese neu gebildeten Tumorgefäße unterscheiden sich von normalen Gefäßen. 

Um eine überschießende Gefäßneubildung zu verhindern, gibt es auch wachstumshemmende Faktoren: 

  • Angiostatin
  • Endostatin

Therapeutisch macht man sich den Vorgang der Angiogenesehemmung zunutze. Die erste Anti-Tumortherapie mit einem Antikörper gegen VEGF (Bevacizumab, Avastin®), also einem Wachstumsfaktor, wurde 2004 zur Behandlung von metastasiertem Darmkrebs zugelassen.  Mittlerweile können Medikamente zur Hemmung der Angiogenese bei sehr vielen Tumorerkrankungen erfolgreich eingesetzt werden. Aber auch bei anderen Erkrankungen spielen sie eine Rolle (Arteriosklerose, Koronare Herzkrankheit, periphere Verschlusskrankheit, Maculadegeneration).

Die Gabe von Angiogenesehemmern in der Tumortherapie kann keine Heilung, jedoch einen Stillstand erreichen. Oft findet daher die Gabe in Verbindung mit einer Chemotherapie statt.

Nebenwirkungen können trotz der relativ zielgerichteten Wirkung auftreten. Da die Wundheilung gestört wird, kann man sie bei Operationen einige Zeit nicht anwenden.  Bluthochdruck, Bauchschmerzen, Schwäche, Thrombosen, Blutbildveränderungen, Durchfall oder Obstipation können auftreten. Ebenso kann es zu Blutungen im Magen-Darm-Trakt kommen. 

Die Hemmung der Gefäßneubildung kann auch durch die Unterdrückung der Wirkung von Wachstumsfaktoren am Rezeptor erreicht werden. Das heißt, die Signalgebung, die vom Rezeptor ausgeht, wird gestört. Auf diesem Weg wirken neue Substanzen (small molecules).  Auch durch Gabe von Antikörpern kann der Rezeptor selbst blockiert werden. Dann können die Wachstumsfaktoren keine Wirkung erzielen.  

Manche Medikamente können als Nebenwirkung das Gefäßwachstum beeinflussen.  Thalidomid (Contergan®) führt zu schweren Missbildungen in der Embryonalentwicklung.  Viele Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft dieses Medikament zur Verbesserung des Schlafs eingenommen hatten, wurden mit Missbildungen geboren. Das Medikament kann aber bei manchen Tumorerkrankungen aufgrund seiner wachstumshemmenden Eigenschaften bei strenger Indikation eingesetzt werden (z. B. Non Hodgkin Lymphom, Plasmozytom, MDS). 

Auch verschiedene naturheilkundliche Medikamente wirken antiangiogenetisch. Hierzu gehören sekundäre Pflanzenstoffe wie Isothiocyanate, Ellagsäure, Curcumin und Apigenin.  Einige sekundäre Pflanzenstoffe fördern jedoch auch die Produktion von Wachstumsfaktoren. 

Verschiedene Toxine wie z. B. Schlangengifte enthalten Substanzen, die die Gefäßbildung stören. Als „Alternative Krebshemmende“ Medikamente werden sie angeboten. Auch Haifischknorpel enthält solche Substanzen. Häufig sind solche Substanzen giftig und deren unkontrollierte Anwendung kann zu erheblichen Nebenwirkungen führen. Sie stellen auf keinen Fall eine Alternative zu moderner gezielter Angiogenese-Hemmung dar.