Krebsentstehung

Krebsentstehung

Wie entsteht Krebs?

Die allgemeine Bezeichnung „Krebs“ für eine maligne (bösartige) Tumorerkrankung stammt aus dem Altgriechischen. Im 2. Jh. n. Chr. prägte Galenus von Pergamon die Bezeichnung, indem er bemerkte, dass Brusttumoren in ihrem Aussehen dem Körper eines Krebses ähnelten.

Krebserkrankungen kommen bei Menschen, Tieren und sogar Pflanzen vor. Sogar an Knochenfunden von Dinosauriern ließ sich nachweisen, dass diese Tiere an Krebs litten.  Krebs kann in allen Organsystemen sowie im Blut- und Lymphsystems des Körpers entstehen.  Man kann ca. 300 verschiedene Krebsarten unterscheiden. Ist es zu einer Metastasierung  (Absiedlung) gekommen, wird immer die Bezeichnung des „Ursprungstumor“ beibehalten (z. B.  Knochenmetastasen eines Brustkrebses und nicht „Knochenkrebs“). Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass die Zahl der diagnostizierten Krebserkrankungen bis 2030 um ca. 50 % zunehmen wird. Höheres Lebensalter und verbesserte Frühdiagnostik tragen dazu bei. Hat man früher eine Krebserkrankung häufig erst erkannt, wenn sie bereits sehr fortgeschritten war und zu Symptomen geführt hat,  „entdecken“ unsere modernen diagnostischen Verfahren oftmals eine Tumorerkrankung schon in sehr frühem Stadium. Auch „Vorstufen“ einer Krebserkrankung werden erkannt und können gezielt behandelt werden. Gerade eine gute Frühdiagnostik für Brustkrebserkrankungen, Gebärmutterhalskrebs, Darmkrebs und Hautkrebs kann die Sterblichkeit für diese Erkrankungen deutlich vermindern. Möglicherweise besteht hier jedoch ein Dilemma, denn es stellt sich auch die Frage, wann und ob eine Frühform von Krebs zu behandeln ist. Neue Erkenntnisse der Tumorbiologie zeigen, dass Krebszellen vielfach in unserem Organismus entstehen, aber keinen Schaden anrichten, da wir selbst über einige sehr wirksame Abwehrmechanismen verfügen. Kommt es zu einer Krebserkrankung, kann sich diese ganz unterschiedlich entwickeln. Es kann zu einem raschen Wachstum mit Metastasierung kommen, es kann jedoch auch sein, dass die Erkrankung nur sehr langsam fortschreitet oder es sogar auch zu einer „Rückentwicklung“ kommen kann. Wir müssen, wenn wir eine Krebsdiagnose stellen, herausfinden, welche tumorbiologischen Eigenschaften die Zellen besitzen, damit eine individuelle Behandlung erfolgen kann. Gerade wenn es um die Behandlung von Präkanzerosen (Vorstufen) oder auch um die Planung einer adjuvanten (unterstützenden, vorbeugenden) Therapie geht, ist dies von großer Bedeutung.  

Betrachtet man die statistischen Zahlen zu Neuerkrankungen und Überlebenschancen  (zusammengefast für alle Tumordiagnosen unabhängig vom Tumorstadium), wird sehr deutlich, dass sich in der Periode 2000-2004 gegenüber 1970-1974 die 5- Jahresüberlebensraten für Männer verdoppelt haben und fast zwei Drittel der betroffenen Frauen überleben. Das sind sehr ermutigende Zahlen. Neue therapeutische Verfahren wie z.B. Antikörpertherapien, neue Zytostatika oder „zielgerichtete“ Therapien tragen zu einer weiteren Verbesserung bei. Die Erforschung der molekularen Grundlagen einer Tumorerkrankung gehört zu den am intensivsten betriebenen Wissenschaftsfeldern.

Ist man selbst betroffen, stellt sich häufig die Frage nach der Ursache und dem Warum.

Die Ursache für die Entstehung einer Krebserkrankung ist Vermehrung von Zellen. Der Mensch besteht aus ca. 60.000 Milliarden Zellen. Jede Zelle enthält in ihrem Zellkern die gesamte Erbinformation. Träger dieser Information ist die DNA (Desoxyribonukleinsäure). Diese ist so klein aufgespult, dass sie in den Zellkern passt und dort als Chromosom zu finden ist. Stellt man sich diese DNA als langen Faden vor, würde diese ca. 2 m messen, hätte also eine  enorme Länge. Jede Zelle nutzt jedoch nur einen kleinen Teil der Erbinformation - je nach  ihrer Spezialisierung. Kommt es zu einer Zellteilung, muss die gesamte Erbinformation genau  kopiert werden und auf die Tochterzellen verteilt werden. 

Man kann sich folgendes Bild gut vorstellen: Der Umfang unserer Erbinformation gleicht einem  dicken Telefonbuch. Diese Menge an Zahlen und Namen muss also korrekt abgeschrieben  werden (Zellteilung). Dies passiert tausendfach am Tag. Dabei kann es zu „Abschreibfehlern“  kommen. Das passiert keineswegs selten sondern so häufig, dass wir mit einigen  Möglichkeiten für eine „Reparatur“ ausgestattet sind. Unser Telefonbuch enthält verschiedene  Kapitel. So könnten beispielsweise die Einträge unter dem Buchstaben A den Ablauf der  geregelten Zellteilung beinhalten, unter B die Informationen und Baupläne zur Reparatur,  usw. Treten also beim Abschreiben Fehler auf, ist es von großer Bedeutung, wo sie stattfinden,  das heißt in welchem Kapitel. Einzelne Fehler richten in der Regel auch keinen Schaden an.  In der Summe können sie jedoch die Grundlage einer Krebserkrankung darstellen. Es ist dann  zu einer genetischen Veränderung (Mutation) in der Zelle gekommen. Im Alter nimmt die  Anzahl der Mutationen zu, es kommt zu einer Addition, was dazu führen kann, dass ganze  Textstellen (also vielleicht alle „Müllers“) unleserlich werden. Normalerweise sterben Zellen ab, die fehlerhaft, geschädigt oder zu alt sind. Sie begehen einen sogenannten  „programmierten Zelltod“ (Apoptose). Aber auch dieser Vorgang ist in einem Kapitel  festgelegt und muss leserlich bleiben, damit die Apoptose stattfinden kann. Ist dies nicht der  Fall, kann eine fehlerhafte mutierte Zelle unkontrolliert weiter wachsen und gibt diesen Fehler  auch an ihre Tochterzellen weiter. Oftmals kommt es dann im Verlauf noch zu weiteren  Veränderungen und die Zelle entfernt sich immer mehr vom Zellbild einer gesunden Zelle.  Aber nicht nur die Veränderung der DNA kann zu einer Krebszelle führen, sondern auch eine  Schädigung der „Verpackung“, also des Schreibpapiers in unserem Telefonbuch. Ist dies z.B.  löchrig, können die Buchstaben nicht richtig erkannt werden.

Die Entwicklung einer einzelnen Krebszelle zum Tumor kann nur stattfinden, wenn das Gewebe mit Nährstoffen versorgt wird. Dies geschieht über das Wachstum von Blutgefäßen (Angiogenese). Die Tumorzellen können selbst durch Produktion von Wachstumsfaktoren dafür sorgen. Bis es ausgehend von einer einzelnen mutierten Zelle tatsächlich zu einer Krebsdiagnose kommt, vergehen oft viele Jahre. Bei Brust- oder Darmkrebst kann das 10-20 Jahre dauern. Bei manchen Tumorarten, insbesondere den akuten Leukämien, kann diese Entwicklung jedoch auch nur wenige Monate dauern. Dies liegt an der unterschiedlichen Teilungsbereitschaft unserer Zellen.

Ein weiterer wichtiger Schutz vor Krebsentstehung ist unsere „Immunüberwachung“. Ständig  prüfen Zellen des Immunsystems unsere Zellen. Schadhaftes wird entfernt, Erreger  (Bakterien/Viren/Pilze) werden erkannt und vernichtet. Krebszellen kann unser Immunsystem  nur dann aufspüren, wenn diese als „fremd“ zu erkennen sind. Da sie sich jedoch aus vormals  ganz normalen Zellen entwickeln, tragen sie auch meist die „äußeren“ Merkmale dieser  gesunden Zellen. Sie bleiben damit für unsere Abwehr unerkannt. Dies erklärt, warum man  bei Patienten, die an einer Tumorerkrankung leiden, oftmals überhaupt keine Hinweise für ein  „krankes oder schwaches“ Immunsystem findet.

Was also unterscheidet Tumorzellen von gesunden Zellen?

Ein Modell der Wissenschaftler D. Hanaghan und R.A. Weinberg (2000) beschreibt dies so:

  • Unabhängigkeit von Wachstumssignalen
    Um sich teilen zu können, benötigen gesunde Zellen von außen einwirkende (externe) Signale durch regulierende Wachstumsfaktoren. Krebszellen benötigen diese Signale nicht mehr. Sie können sich auch ohne Wachstumssignale teilen.
  • Unempfindlichkeit gegenüber Signalen, die das Wachstum hemmen oder den Zelltod bewirken
    Gesunde Zellen reagieren auf wachstumshemmende Signale. Dadurch wird das Gleichgewicht zwischen neugebildeten und abgestorbenen Zellen im Gewebe erhalten. Diese Eigenschaft ist in Krebszellen nicht mehr vorhanden.
  • Unbegrenztes Wachstumspotential
    Gesunde Zellen besitzen einen unabhängigen „Zähler“, der die Anzahl der Zellteilungen begrenzt, dieser fehlt den Tumorzellen.
  • Mangelnde Fähigkeit zum „programmierten Zelltod“ (Apoptose)
    Normale Zellen sind fähig „Selbstmord“ zu begehen, wenn sie Schäden aufweisen. Krebszellen reagieren jedoch nicht mehr auf die Signale, die diesen programmierten Zelltod einleiten sollen.
  • Versorgung mit Blut durch Ausbildung neuer Blutgefäße (Angiogenese)
    Bildet sich aus einer wachsenden Zahl neuer Zellen ein zusammenhängendes Gewebe, wird das weitere Wachstum von der Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen über Blutgefäße abhängig. Normalerweise ist die Menge und Verteilung der Blutgefäße bei Erwachsenen weitgehend konstant. Tumorzellen können über Botenstoffe die Bildung von neuen Blutgefäßen anregen, um sich selbst ausreichend zu versorgen.
  • Invasion und Metastasenbildung
    In der Regel haben Zellen einen festen Standort im Körper und gehen nicht auf Wanderschaft (Ausnahme „Abwehrzellen“). Tumorzellen können jedoch in Gewebe einwachsen und sich im Körper fortbewegen (metastasieren).

Neuere Theorien gehen davon aus, dass Tumoren vor allem durch Teilung bestimmter Stammzellen wachsen. Nicht alle Zellen in einem Tumor sind gleich. Dies bedeutet, dass diese Tumorstammzellen in der Behandlung eine besondere Berücksichtigung finden müssen, denn sie können für die Tumormetastasierung oder Rückfälle verantwortlich sein.

Viele der gewonnenen Erkenntnisse zur Tumorentstehung haben zu neuen Therapieansätzen geführt. So gibt es beispielsweise Antikörper, die das Gefäßwachstum unterdrücken (Angiogenesehemmer), Antikörper die gezielt Oberflächenstrukturen (Rezeptoren) der Tumorzelle auffinden und eine Zellzerstörung auslösen oder Medikamente, die an spezielle Rezeptoren für Wachstumsstimulierende Faktoren binden und damit diesen Impuls unterdrücken. Neue Medikamente können gezielt Signalwege (targeted therapy) in der Tumorzelle stören, sodass wachstumsfördernde Impulse nicht mehr an den Zellkern weitergegeben werden können. Immuntherapeutische Ansätze sollen dazu führen, dass Tumorzellen durch unser Immunsystem aufgespürt werden können. Die histopathologische und molekulargenetische Untersuchung des Tumorgewebes ist von sehr großer Bedeutung. Es wird quasi eine „Visitenkarte“ des Tumors erstellt. Jede Tumorerkrankung unterscheidet sich, jede Mutationskonstellation ist anders. Damit eine Behandlung individuell gestaltet werden kann, ist die Bestimmung von neuen „Biomarkern“, die insbesondere Auskunft über das Wachstumsverhalten der Tumorzellen liefern, hilfreich.

Grundlage der Krebsentstehung ist also eine Veränderung der Gene. Mutationen können Zufallsprodukte sein, die Mutationshäufigkeit kann aber auch durch äußere Faktoren gesteigert sein (z.B. schädigt radioaktive Strahlung die DNA).

Aber führt eine DNA-Schädigung immer gleichermaßen auch zu einer Krebserkrankung? Warum bekommt nicht jeder Raucher Lungenkrebs? Warum wirken sich Risikofaktoren wie eben Rauchen, Ernährung, Viruserkrankungen, Umweltbelastungen oder auch genetische Vorbelastung ganz unterschiedlich aus?

Neben der Genetik, also der Weitergabe von Erbanlagen an die nächste Generation befasst sich die Epigenetik damit, wie Veränderungen im genetischen Code auf einer übergeordneten Ebene gesteuert und auch bei der Zellteilung weitergegeben werden. Wie schon beschrieben liegt unsere Erbsubstanz DNA nicht als einfacher langer Faden im Zellkern, sondern ist „aufgewickelt“. Wird in der Zelle nun eine spezielle „Protein-Bauanleitung“ benötigt, etwa weil der Stoffwechsel Bedarf an einem bestimmten Enzym meldet, so müssen die entsprechenden Gene auch zugänglich sein, also nicht fest aufgewickelt. Im Falle einer Krebsentstehung kann es z.B. sein, dass Gene, die Tumorwachstum unterdrücken sollen, ihre Funktion nicht wahrnehmen können, weil sie „verklebt“, zu eng gepackt sind. Es liegt also ein „Verpackungsproblem“ vor. Zur Epigenetik gibt es viele Beobachtungen, die immer wieder eindrucksvoll zeigen konnten, dass es bei gleicher genetischer Ausstattung zu ganz unterschiedlicher Entwicklung kommen kann (eineiige Zwillinge) oder, dass Träger krankmachender Gene nicht unbedingt selbst erkranken müssen. Unser Lebensstil hat einen großen Einfluss auf unsere eigenen Möglichkeiten, Tumorentstehung zu verhindern oder zu beeinflussen.

Krebsfördernde Faktoren sind natürlich je nach Krebsart unterschiedlich zu werten. Nikotinkonsum ist ein erheblicher Risikofaktor für die Entstehung von Lungentumoren. Aber auch viele andere Krebserkrankungen werden durch Nikotinkonsum gefördert (30 - 32 %). Alkoholkonsum wirkt sich gesundheitsschädigend aus. Virusinfektionen (10 %) spielen eine Rolle bei der Entstehung von Leberkrebs (Hepatitis B, C-Virus), Gebärmutterhalskrebs (Papillom-Virus), Lymphome (Epstein-Barr-Virus), Magenkrebs (Helicobacter pylori), Kaposi-Sarkom (HIV-Virus). Umweltschadstoffe und industrielle Arbeit mit krebserregenden Substanzen können krebsauslösend sein (z. B. Asbest). Genetische Faktoren sind bei manchen Tumorerkrankungen von großer Bedeutung. UV-B Einstrahlung erhöht das Risiko für Hautkrebs. Ein bedeutsamer krebsfördernder Faktor kann unsere Ernährung sein (30 - 35 %). Unser „Körpereigenes Schutzsystem“ arbeitet mit Hilfe von Enzymsystemen, die durch Vitamine, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe unterstützt werden (Schutz vor DNA -schädigenden „freien Radikalen“). Manche Nahrungsmittel belasten unseren Stoffwechsel und fördern die Bildung „freier Radikale“ oder sind toxisch. Einige Zusatzstoffe oder auch Pestizide in der Nahrung sind kanzerogen. Die Zubereitung oder Herstellung von Nahrung kann gesundheitsschädigend sein. Nicht nur was, sondern auch wie wir essen, ist von Bedeutung (Ernährungspsychologie).

Chronische Stressbelastung kann unsere Schutzsysteme blockieren. Im Gegensatz zu akutem Stress kann bei chronischer Stressbelastung die Balance unseres vegetativen Nervensystems gestört sein. Stresshormone wie Adrenalin und Glucocorticoide überwiegen und hemmen die Aktivität des Immunsystems. Schlafstörungen vermindern Regeneration und Reparatur. Wie groß die Rolle psychischer Faktoren bei der Krebsentstehung sind, ist wissenschaftlich umstritten. Es gibt aber viele Hinweise darauf, dass unser seelisches Befinden viele Körperfunktionen beeinflussen kann und somit auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf von Erkrankungen wahrnimmt. So konnten einige Untersuchungen und Studien zeigen, dass z.B. die Aktivität von Immunzellen verbessert wird, wenn die Stimmungslage positiv istMit diesen Zusammenhängen befasst sich eine noch recht neue Wissenschaft, die Psychoneuroimmunologie.

Zu den wichtigsten Krebs hemmenden Faktoren gehören körperliches Konditions- und Muskel-Training, stoffwechselangepasste Ernährung, die die Versorgung mit allen wichtigen Nahrungsbausteinen sicherstellt und Entspannung. Natürlich sollen Risikofaktoren (siehe oben) vermieden werden. Frühdiagnostik erhöht die Chancen auf Heilung nach der Krebsdiagnose.

„Bunt essen, bewegt leben, leicht wiegen“ ist ein einprägsamer Satz, wenn wir von Empfehlungen zur „Krebsvermeidung“ sprechen. Es erscheint aber ebenso wichtig, dass wir mit unseren Ressourcen vernünftig und sorgsam haushalten. Wie beschrieben verfügen wir über komplexe Schutz- und Reparatursysteme, die uns vor Erkrankung bewahren. Es gilt, diese optimal zu stärken. Auf welche Weise dies am besten geschehen kann, wird individuell recht verschieden sein und wir selbst sind aufgerufen, unseren eigenen, uns entsprechenden persönlichen Weg zu entdecken.