Jung & Krebs

Jung und Krebs

Jung & Krebs Adolescents and Young Adults (AYA)

Pro Jahr erkranken etwa 15 000 junge Menschen zwischen 18 und 39 Jahren an Krebs. Diese  Diagnose bedeutet für junge Erwachsene häufig einen gravierenden Einschnitt in die gesamte  Lebens- und Zukunftsplanung. Plötzlich sehen sie sich mit besonderen Problemen und  Entscheidungen konfrontiert: Kinderwunsch und Familienplanung, eine mögliche 

Unterbrechung des Ausbildungsweges oder wirtschaftliche und soziale Notlagen. Sind  Themen, die neben der bestmöglichen Krebstherapie eine zentrale Rolle spielen. 

Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs wurde am 14. Juli 2014 von der DGHO  Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. gegründet. Sie  soll die Erforschung von Krebs bei jungen Erwachsenen fördern und dazu beitragen,  Behandlung Heilungschancen, Lebensqualität und Zukunftsperspektiven der Patientinnen und  Patienten zu verbessern. Das JUNGE KREBSPORTAL ermöglicht jungen Frauen und  Männern, die an Krebs erkrankt sind, waren oder an einem Rezidiv leiden, einen schnellen  Kontakt zu Expertinnen und Experten in ganz Deutschland, um notwendige Informationen und  Beratung zu erhalten. Mit Hilfe des onlinebasierten Portals können junge Krebspatientinnen  und Krebspatienten individuelle Fragestellungen an das hochqualifizierte Beraterteam des  JUNGEN KREBSPORTALS richten und erhalten in Online-Chats, Telefonaten oder  persönlichen Gesprächen vor Ort Antworten. 

Im Alter von 18 bis 39 Jahren können 80 Prozent von uns Krebspatienten geheilt werden. 

Die Altersdefinition für Heranwachsende und junge Erwachsene ist in der medizinischen  Fachliteratur nicht einheitlich. Als untere Grenze werden 15 – 18 Jahre, als obere Altersgrenze  28 – 39 Jahre verwandt. Im englischen Sprachraum werden sie als Adolescents and Young  Adults bezeichnet, abgekürzt AYA. 

Die Gruppe der Heranwachsenden und jungen Erwachsenen ist ziemlich bunt. Gemeinsame  Merkmale sind die hohe Heilungschance, die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung mit  Krebs in einem schwierigen Alter, und die Angst vor Langzeitfolgen und Zweiterkrankungen. 

Es besteht in dieser Altersgruppe ein besonders hoher Informationsbedarf, Bedürfnis nach  Kommunikation und sozialer Unterstützung. 

Junge Menschen identifizieren sich mit Attributen wie aktiv, jung, dynamisch, gesund und  lebenshungrig. Die körperliche Unversehrtheit ist in diesen Lebensjahren die tragende und  treibende Kraft des Lebens; jedes Sichtbarwerden körperlicher und psychischer Schwächen  (durch Narben, Haarverlust, Depressionen, Ängste unter anderem) wird als Makel empfunden.

Auch der persönliche Umgang mit der Krebserkrankung wird offenbar vom Lebensalter  beeinflusst. 6 von 8 Studien zu dieser Thematik kamen zu dem Ergebnis, dass jüngere  Patienten (Gruppe der AYA) ihre Krebsdiagnose seltener verleugnen und entsprechend  offener darüber reden als ältere Patient*innen. In 2 Studien korrelierte das Alter nicht mit einem  Verleugnen, allerdings zeigten jüngere Patienten mehr „Vermeidungs- und Fluchtverhalten“. 

Es gibt kein sinnvolles Früherkennungsprogramm für Heranwachsende und junge  Erwachsene ohne familiäre Belastung. Anleitungen zur Selbstuntersuchung der Haut, der  Brust und der Hoden können sinnvoll sein. Kritische Selbstbeobachtung des eigenen Körpers  ist hilfreich, krankhafte Angst vor Krebs nicht. 

Bei Angehörigen von Familien mit bekannter Belastung wird frühzeitig eine genetische  Beratung empfohlen. Früherkennungsmaßnahmen sollten spätestens 10 Jahre vor dem Alter  der Erstdiagnose der erkrankten Verwandten beginnen. 

Bei Heranwachsenden und jungen Erwachsenen mit anderen nachgewiesenen  Risikofaktoren, z. B. einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, sollen über das  Krebsrisiko beraten werden. Die gemeinsame Erstellung eines individuellen Plans für  Früherkennungsmaßnahmen wird empfohlen. 

Das erste Ziel der Behandlung ist die Heilung, das zweite Ziel die weitest gehende Vermeidung  von Nebenwirkungen, einschl. Langzeitkomplikationen. Besonders belastend für  Heranwachsende und junge Erwachsene sind Störungen des Körperbildes, die  Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit und das Risiko von Zweiterkrankungen. 

In der Konfrontation mit einer existentiell bedrohlichen Krankheit stagnieren die Prozesse von  Ablösung, Identitätsfindung und -orientierung. Fremdbestimmtheit und Abhängigkeit nehmen  objektiv und subjektiv wieder zu. Im Vergleich mit älteren Patient*innen weisen  Heranwachsende und junge Erwachsene größere psychosoziale Defizite auf und sind  zusätzlich durch finanzielle Probleme stärker belastet. Auf der anderen Seite neigen sie  weniger zur Verleugnung der Krebsdiagnose

Zur qualifizierten Behandlung der Heranwachsenden und jungen Erwachsenen gehören das  frühzeitige und langfristige Angebot einer psychoonkologischen Betreuung und die  professionelle Unterstützung bei der Bewältigung sozialer, auch beruflicher und  finanzieller Probleme. Darüber hinausgehend können Kontakte zu Gleichbetroffenen  ähnlichen Alters über Selbsthilfegruppen oder soziale Medien die Krankheitsverarbeitung  fördern und dabei helfen, das Gefühl der Einsamkeit zu bewältigen. So führten beispielsweise  Sommercamps und erlebnispädagogische Programme zu einer Verbesserung der  Selbstzufriedenheit, der Unabhängigkeit und der sozialen Kontakte. 

Eine Krebserkrankung gehört für alle Betroffenen zu den intensivsten Lebenserfahrungen.  Bei Heranwachsenden und jungen Erwachsenen kommt die Erkrankung zu einem Zeitpunkt,  an dem Gedanken an eigene Krankheit und Tod weit entfernt sind. Andere Themen stehen im  Vordergrund, je nach Stadium der Persönlichkeitsreifung: Unabhängigkeit, Freunde und  Partner, Sexualität, Mobilität, Alkohol- und Drogenkonsum, Lösung vom Elternhaus,  Ausbildung, Arbeitsplatz und Karriere, Gründung einer Familie u. a. Bei einer  lebensbedrohlichen Krankheit stoppt diese Persönlichkeitsentwicklung.

Es entsteht Abhängigkeit, oft auch wieder von den Eltern. Das Leben wird von außen  bestimmt.  

Eine Krebsbehandlung ist körperlich und seelisch anstrengend. Viele Therapien ziehen sich  über Monate, manchmal sogar über mehrere Jahre hin. Wer psychisch nicht stabil ist, private  oder berufliche Probleme hat, bricht vielleicht sogar die Behandlung ab und gefährdet damit  die Heilung. Heranwachsende und junge Erwachsene reagieren oft später auf kritische  Nebenwirkungen, z. B. Fieber, und haben eher Probleme, Termine für Behandlungen und  Kontrollen einzuhalten. 

Therapieadhärenz ist ein besonderes Thema bei der Betreuung von Heranwachsenden und  jungen Erwachsenen. Eine labile psychische Situation, das Streben nach Unabhängigkeit und  belastende soziale Faktoren sowie konkurrierende Verpflichtungen (Familie, Schule, Beruf)  können die Therapieadhärenz beeinträchtigen und die Prognose verschlechtern. Hierzu  gehört auch eine größere Risikobereitschaft mit verzögerter Reaktion auf kritische  Nebenwirkungen und großzügiger Interpretation vorgegebener Therapieintervalle 

Eine häufige Nebenwirkung von Krebsmedikamenten ist die Einschränkung der Fruchtbarkeit.  Chemotherapie beeinflusst die Funktion der Eierstöcke bei den Frauen und eine Verminderung  der Produktion von Spermien bei den Männern. Auch die Bestrahlung des kleinen Beckens  bei Frauen, der Hoden bei Männern und die Bestrahlung des Schädels beeinträchtigen die  Fruchtbarkeit. Bei vielen Patienten erholen sich Eierstöcke und Hodengewebe. Risikofaktoren  für eine dauerhafte Unfruchtbarkeit sind: 

  • Alter zum Zeitpunkt der Behandlung 
  • Art der Behandlung: Bestrahlung, Chemotherapie 
  • Intensität der Behandlung und die Dosierung 

Das Risiko der Unfruchtbarkeit und Methoden zur Vorbeugung müssen bei den  Aufklärungsgesprächen diskutiert werden und ggf. Maßnahmen eingeleitet werden, wie z.B. 

  • Ovariopexie  
  • Einfrieren von Eizellen 
  • Einfrieren von Eierstockgewebe 
  • Hormonbehandlung 
  • Kryokonservierung von Spermien 

Ein Netzwerk für fertilitätsprotektive Maßnahmen wurde 2006 in Heidelberg gegründet

Junge Krebspatienten haben ein erhöhtes Risiko für eine zweite Krebserkrankung im Laufe  ihres späteren Lebens. Welche zweite Krebskrankheit auftreten kann, hängt mit der ersten  Krebskrankheit zusammen. Beispiele: Ein intensiver Raucher hat auch nach Heilung seiner  ersten Krebskrankheit ein hohes Risiko, einen zweiten ‚Raucherkrebs‘ zu bekommen.  Personen mit einer genetischen Belastung behalten dieses Risiko lebenslang. Bei  Patientinnen mit Brustkrebs kann ein zweiter Krebs in der anderen Brust entstehen, bei  Männern kann der andere Hoden betroffen sein. 

Auch die Krebstherapie selbst kann die Entstehung von Krebs fördern. Sowohl  die Bestrahlung als auch bestimmte Medikamente der Chemotherapie können gesunde Zellen  so schädigen, dass später ein neuer Krebs entsteht. Das höchste Risiko besteht bei Kombinationen von Strahlen- und Chemotherapie bzw. bei einer Hochdosistherapie. Beispiele  sind Brustkrebs bei Patientinnen nach Bestrahlung des Brustkorbs vor dem 30. Lebensjahr,  Schilddrüsenkrebs nach Bestrahlung des Halses vor dem 20. Lebensjahr oder Leukämien  nach intensiver Chemotherapie. Der relative Anteil von Krebserkrankungen, die durch  Strahlen- oder Chemotherapie verursacht wird, ist allerdings gering. 

Nachsorge ist auch Vorsorge. Für junge Krebspatienten sollen die behandelnden Ärzte  individuelle Pläne zur Vorbeugung und zur Früherkennung von weiteren Krebserkrankungen  erstellen. 

Vor allem die Chemotherapie und die Bestrahlung, aber auch Operationen, können  langfristige Nebenwirkungen haben. Diese können den Hormonhaushalt (z.B. Unterfunktion  der Schilddrüse), Herz und Gefäße, die Lunge, die Nieren und andere körperliche Funktionen  betreffen. Diese Nebenwirkungen können zu belastenden Folgeerkrankungen und zu einer  Einschränkung der Lebensqualität führen. Beratung, Diagnostik und Behandlung orientieren  sich an den individuellen Risikofaktoren. 

Spätfolgen können sein: 

∙ Veränderung des Hormonhaushaltes 

∙ Belastung von Organen (Herz, Lunge, Nieren) 

∙ Veränderung des Körperbildes (Narben) 

∙ Veränderung durch Organverlust 

∙ Fatigue  

∙ Polyneuropathie  

∙ Hautveränderungen 

∙ Erhöhte Rate an chronischer Komorbidität  

Die Krebskrankheit und die Behandlung können zu belastenden Folgestörungen führen, wie  z.B.: 

  • Gastrointestinale Beschwerden Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Obstipation,  Inappetenz, Gewichtsverlust (Chemotherapie, Operation, Radiatio) 
  • Kardiotoxizität Atemnot bei Belastung, Schwäche, Müdigkeit, Schwindel  (Anthrazykline, Trastuzumab, 5-FU, Zustand nach Mediastinalbestrahlung) 
  • Pneumotoxizität Atemnot bei Belastung (Bleomycin, Etoposid, Cyclophosphamid,  Zustand nach Mediastinalbestrahlung) 
  • Niereninsuffizienz Ödeme, Störungen der Salz-/Wasserregulation (Cisplatin,  Alkylantien, Nitrosoharnstoffe, Methotrexat, Mitomycin, Vancomycin, Amphotericin B  Zytopenie) 
  • Leuko-, Thrombopenie, Anämie Infektgefährdung, Blutungsneigung, Schwäche,  Atemnot (Chemotherapie, Operation, Radiatio) 

Wichtigste Ziele der Rehabilitation sind die Überwindung körperlicher Einschränkungen und  seelischer Belastung, die Förderung der Krankheitsverarbeitung, die Wiedereingliederung in  das gesellschaftliche und das berufliche Leben.

Die Patienten sollen über die Möglichkeiten ambulanter und stationärer  Rehabilitationsmaßnahmen sowie weiterer Ansprüche, die sich aus dem Sozialrecht ergeben,  frühzeitig informiert werden. Hinsichtlich der Rehabilitationsklinik sollen die Wünsche der  Patienten berücksichtigt werden (§9 SGB IX). Für Heranwachsende und junge  Erwachsenen wird die Rehabilitation in Einrichtungen empfohlen, die auf die besonderen  Bedürfnisse dieser Patientengruppe spezialisiert sind. 

Therapiekonzept in der Habichtswald-Klinik 

Der Altersdurchschnitt unserer PatientInnen liegt bei ca. 50 Jahren. Das ist deutlich niedriger, als es allgemein in Rehabillitationseinrichtungen der Fall ist. Die Unterbringung ist in der Habichtswald-Klinik gemischt. Es gibt keine spezifischen „Stationen“. PatientInnen des internistischen und psychosomatischen Bereichs sind in viele Gruppen mit integriert. In der psychosomatischen Abteilung unseres Hauses gibt es eine Therapiegruppe für junge Erwachsene. Im Unterschied zur psychosomatischen Abteilung gibt es jedoch im onkologischen Bereich keine feste altersspezifische Gruppe, da wir eine insgesamt eine kleine Abteilung sind und die Patient*innenzahl und deren Alter schwanken können. Jedoch ist unser therapeutisches Konzept so konzipiert, dass es altersspezifischen Anforderungen und Bedürfnissen gerecht wird. Gerade die ganzheitliche Ausrichtung, mit vielfältigen Möglichkeiten, ermöglicht eine individuelle Behandlung. Grundlagen und Therapieangebote sind: 

  • Interne und externe Weiterbildung aller MitarbeiterInnen bzgl. altersspezifischer Besonderheiten 
  • Wissensvermittlung 
  • Nebenwirkungsmanagement 
  • Spezielle Therapiekonzepte für Behandlungsfolgen wie Fatigue, Polyneuropathie
  • Komplementäre Medizin 
  • Beratung zu Nachsorge-/Frühdiagnostik 
  • Sekundäre Prävention 
  • Motivationsentwicklung zur gesunden Lebensführung 
  • Bei Hilfe-/Pflegedürftigkeit Vermeidung von „Überfürsorge“ 
  • Wickel/Einreibungen 
  • Spezielle Beratung (BCN, Stoma, Wundversorgung, Schmerzen) 
  • Aromapflege  
  • Psychotherapeutische Begleitung: Stärkung der Selbstautonomie, Stärkung kommunikativer Kompetenz, Mind-Body-Medicine salutogenetischer Ansatz, Stärkung des Kohärenzgefühls und Resilienz 
  • Sport- und Bewegungsangebot: „Fit by step“, Thai Boxing, Dance Aerobic, Koordinative Übungen, gezielte Funktionsverbesserung, Umgang mit  „trainingsbedingten“ Beschwerden, Förderung sozialer Kontakte
  • Verschiedenste Massagetechniken: Reflexzonenmassage, APM Massage, Bachmassage, Marnitzmassage, Narbenbehandlung 
  • Funktionelle Verbesserung: Lymphödem, muskuläre Verspannungen 
  • Ernährungstherapie: Erfassung von Stoffwechselbesonderheiten, Aufklärung  „Antikrebs-Diäten“, Alltagspraktikabilität wird besonders berücksichtigt 
  • Soziale Beratung, Klarheit in Recht und Pflicht: Reintegration, Ausbildung/Beruf, Wiedereingliederung, Umschulung, innerbetriebliche Umsetzung, wirtschaftliche Sicherung, Schwerbehindertenrecht 

Junge Erwachsene mit oder nach einer Krebsdiagnose und Behandlung erhalten bei uns von Beginn des Aufenthaltes ein intensives, aber individuelles Behandlungsprogramm mit hoher Therapiedichte. „Vielfalt ist unsere Einzigartigkeit“. Unser Ziel ist es, Gesundheit zu fördern und die Selbstautonomie der Betroffenen zu stärken. Lebensqualität und Krankheitsverarbeitungsstrategien sind wesentliche Faktoren unsere körpereigenen Widerstandssysteme zu optimieren und wir möchten zu einer nachhaltigen physischen und psychischen Stabilisierung beitragen.